Sonntag, 19. April 2015

Eine Kurzgeschichte / Im Warteraum


Im Warteraum der berühmtesten Modellagentur in der Stadt, brodelte es wie in einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Ein großes Modelabel hatte zum Casting gerufen und der Ruf war erhört worden. Von überall her kamen sie, die jungen, schönen und perfekten Körper und Gesichter. Auf der Suche nach Reichtum, Ruhm und ewiger Unsterblichkeit in Form eines auf Leinwand prangenden Fotos mit ihrem Konterfei. Man sah die Anspannung in ihren Gesichtern. Die musternden Blicke, welche die Konkurrenz abcheckten, um sich die Chancen schon im Vorfeld ausrechnen zu können. Hier waren sie alle als Gegner gekommen, nicht um Freunde zu finden. Berechnende Höflichkeit, ein aufgesetztes Lächeln, das imaginäre gewetzte Messer bereits im Rücken um in Ernstfall blitzeschnell „zuzustechen“, wenn es ums Ganze ging. Ein Moloch aufgesetzter „Fratzen“.

Ganz in der Ecke des Raumes, fast schon etwas abgetrennt von der Masse, saß eine Frau, die so gar nicht in diese Herde passen wollte. „Hast du die Alte dort gesehen“ meinte eine der Anwärterinnen im vorbei gehen, mit einem abschätzigen Lächlen zu ihrer Mitstreiterin und dann zogen beide weiter kichernd und siegessicher. Die Dame, die dort im Außen saß, passte tatsächlich überhaupt nicht. Sie war von durchschnittlichem Aussehen. Kein Quasimodo, aber schön war irgendwie auch was anderes. Ihre Figur war eher üppig und entsprach so gar nicht dem Einheitsbrei der anderen. Außerdem war sie bestimmt gut doppelt so alt wie die jungen Küken, die hier durch den Raum flatterten. Das führte dazu dass außer ein paar verächtlichen, manchmal sogar mitleidigen Blicken und einigen gerümpften Nasen, ob dieser Dreistigkeit sich bei solch einem Casting mit diesem Aussehen verlaufen zu haben, ihr ansonsten wenig bis gar keine Beachtung geschenkt wurde. Was dieser aber nichts auszumachen schien. Sie saß ruhig und elegant fast schon erhaben und gütig wirkend in ihrer Ecke und lächelte wie ein zufriedener Buddha vor sich hin.

Es gab aber noch Eine, die in dem ganzen rumorenden Chaos nicht so recht hineinpassen wollte. Sie allerdings war von einer einfachen Schönheit und Reinheit, dass man sie durchaus als Landei einstufen wollte, beim ersten Blick. Eine hochgewachsene junge Frau, schwarzes Haar, glänzend und wallend über die Schultern fallend, einen ebenmäßigen Teint und die Figur würde die Modelmaße sicher erfüllen. Nur der Blick glich in keinster Weise den leeren Hüllen, die ansonsten durch den Raum taumelten. Ihr Blick war wach und klar, voller Neugierde und einer Unschuld wie sie hier fast schon exotisch war. Das ganze Gesicht, der ganze perfekte Körper schien zu rufen : Ehrlichkeit, Offenheit, Authentisch. Auch sie wurde wenig bis gar nicht beachtet. Man sah keine Konkurrenz in diesem kleinen Naivchen, das wahrscheinlich heute zum ersten Mal so ein Casting besuchte.

„Sie haben wohl noch nicht sehr viel Erfahrung im Modelbusiness oder?“ fragte eine freundliche, sanfte Stimme leise von hinten und die junge Schönheit, drehte sich fast schon erschrocken um. Sie blickte in das Gesicht der etwas älteren Dame, die gerade noch in der Ecke gesessen hatte und nun direkt vor ihr stand mit einem friedvollen Lächeln auf den Lippen. „Nein, um ehrlich zu sein“ antwortete die junge Frau fast schon verlegen und ein wenig schüchtern „ war ich noch nie bei so etwas“. Sie blickte beschämt zu Boden, als hätte sie ein vernichtendes Geständnis gemacht, welches alle Chancen zerstörte. „Wissen Sie“ fuhr sie fort „ meine Schwester hat mich dazu überredet, aber hier glaube ich bin ich wohl nicht am richtigen Platz.“ Sie sah sich um wie ein verängstigtes Kind. Die älter Dame nahm sie bei der Hand und zog sie etwas in die Ecke, in der es ruhiger war als im übrigen Raum. „ Wissen Sie, ich passe hier auch nicht hin, aber trotzdem bin ich hier und das erfordert Mut“ sie lächelte aufmunternd „ wichtig ist, dass Sie immer Sie selbst bleiben und keine marionettenhafte Hülle werden, wie all die anderen hier“ sie machte eine kurze Pause, dann blickte sie in den Raum und sagte „ schauen Sie sich diese Mädchen an, wenn sie genau hinsehen, ist es, als ob sie alle an Schnüren hängen würden und alle die gleichen schlaksigen Bewegungen ausführen würden. Wie ein Puppentheater“. Als die junge Schöne durch den Raum schaute, da war es tatsächlich so als sähen Sie einem Puppenspiel zu und sie musste amüsiert schmunzeln. Und als sie sich umdrehte um der älteren Dame etwas zu entgegnen, da war diese verschwunden, einfach weg, als hätte die Erde sie verschluckt. Als hätte sie nie existiert.

Die Tür des Castingraums öffnete sich und ein junger Mann trat heraus. Er war gutaussehend und trug ein legeres Outfit. Mit einem freundlichen aber bestimmten Lächeln sagt er mit lauter und fester Stimme, so dass es überall im Raum verständlich war: „ Meine Damen wir danken Ihnen für ihr zahlreiches Erscheinen, aber das Casting ist abgeschlossen, wir haben uns für eine Kandidatin entschieden, die genau zu unserem Label passt.“ Er ging mit entschlossenem Schritt auf die unschuldige junge Schöne zu und reichte ihr die Hand „ Herzlichen Glückwunsch, sie haben den Job, morgen früh geht es los, wir sehen uns um punkt acht genau hier!“ Damit verabschiedete er sich und schloss die Tür des Castingraumes wieder hinter sich. Zurück blieb eine völlig überraschte junge Schöne und völlig verstörte und empörte „Marionetten“.

Hinter der Tür aber saß, verschmitzt schmunzelnd und sehr zufrieden, die älter Dame, mit dem nicht so perfekten Aussehen und nickte dem jungen Mann zwinkernd zu.